Westgeld war allgemein die Bezeichnung für Devisen des westlichen Auslands schlechthin, wurde aber im täglichen Sprachgebrauch doch mehr als Synonym für die DM verwendet.
Für den DDR-Bürger gab es in der Regel keine Möglichkeit, seine eigene Währung auf der Bank in Devisen zu wechseln. Selbst dann, wenn er die Möglichkeit bekam, ins westliche Ausland zu reisen, waren die Umtauschbeträge äußerst minimal und reichten nicht hin und nicht her.
Westgeld war ein Zauberwort. Es war das, was die meisten nicht oder nicht ausreichend besaßen, aber besitzen wollten. Mit Westgeld schien alles möglich zu sein.
Haupteinnahmequellen für Westgeld waren die lieben „Westverwandten“. Vor der Eröffnung der Intershops unterstützten diese ihre „Verwandten in der Zone“ vorwiegend mit Paketen oder Mitbringseln, danach erkannten sie jedoch schnell den Vorteil, Geldgeschenke zu machen, ersparten sie sich doch so die Mühe des Einkaufens, des Verpackens und die Kosten für den Versand sowie Unzufriedenheit, falls sie das Falsche geschickt oder mitgebracht hatten.
Kaum ein DDR-Bürger konnte das Leben in der Bundesrepublik wirklich und objektiv einschätzen. Die Tatsache, dass jemand Verwandter aus dem Westen war, machte ihn deshalb in den Augen seiner Anverwandten östlich der Grenze automatisch reich, zumindest reicher als sie selbst waren. Formulierungen wie: „Ich muss mir das auch alles vom Munde absparen“, nahm man den Onkels und Tanten nie so richtig ab, nicht selten wurde ihnen im Stillen sogar Geiz unterstellt. Selbstverständlich bedankte sich jeder brav für die DM-Scheinchen, hätte aber eigentlich doch gern noch ein bisschen mehr Geld gesehen.
Mit wenig Westgeld konnte man natürlich keine großen Sprünge machen. Bei einem Besuch im Intershop reichten die 20 DM mal gerade für die obligatorischen Süßigkeiten und Kaugummi, den Kaffe, Strumpfhosen für die Mutter und vielleicht noch Zigaretten für den Vater. Dann war man seine Devisen los. Devisenlos mutierte jeder augenblicklich wieder zum Normalsterblichen.
Viele Leute, die keine regelmäßige Einnahmequelle für Westgeld hatten, wollten es nicht für unsinnigen Kleinkram „verkleckern“, gaben es deshalb nicht sofort aus und vermehrten es von Westbesuch zu Westbesuch, bis es endlich für einen größeren Einkauf reichte.
Wer das Glück hatte, über wirklich mitleidende oder auch nur gönnerhafte, wohlhabende Westverwandte zu verfügen, hatte meist ein regelmäßiges „Westgeldeinkommen“. Er brauchte keinen Ostkaffee mehr zu trinken, putzte sich nur noch mit Westzahnpasta die Zähne und trug immer die echten Jeans auf dem Hintern. Das entlastete enorm das private Ost-Haushaltsgeld, das nun für teurere Dinge ausgegeben werden konnte. Tja, man war eben wer! Für den Westverwandten natürlich nach wie vor nichts anderes als ein armer, bedauernswerter Zoni, aber die Freunde und Nachbarn beneideten doch den Lebensstandard und taten alles, diesem nachzueifern.
Wer nicht das Glück der Westverwandschaft hatte, musste devisenlos bleiben. Es sei denn, er fand jemanden, der Westgeld gegen Ostgeld im Verhältnis 1:4 oder höher tauschte. Unter den DDR-Bürgern mit „regelmäßigem Westgeldeinkommen“ gab es nicht wenige, die zu solchen Geschäften bereit waren und sich eine goldene Nase verdienten.
Eine andere Möglichkeit zu Westgeld zu kommen war die, eine Dienstleistung anzubieten, die auf dem Arbeitsmarkt rar war. Das war besonders unter den Handwerkern weit verbreitet, die von Häuslebauern nach Feierabend heiß begehrt wurden. Besonders im Berliner Raum ließen sich zahlreiche Maurer, Maler, Zimmerer und Dachdecker nur noch mit Westgeld entlohnen. |