WESTFERNSEHEN
 
 

Das „Westfernsehen“ war lange Jahre, ohne dass es dafür ein Gesetz gegeben hätte, quasi verboten, wurde aber aus unterschiedlichsten Gründen heraus von der Mehrzahl der Bevölkerung dennoch regelmäßig konsumiert. In einem Interview eines Westkorrespondenten in den achtziger Jahren wurde Erich Honnecker auf ein solches Verbot hin angesprochen. Er verleugnete dessen Existenz und gab zu verstehen, dass in der DDR jeder Bürger das sehen und hören könne, was er möchte. Danach hatten auch die sehr ängstlichen Bürger mehr Mut, die Westsender einzuschalten.

Natürlich waren die Programme der westlichen Radio- und Fernsehsender der Partei und Regierung ein Dorn im Auge. Die Verantwortlichen befürchteten, dass die eigene einseitig ausgerichtete Informationspolitik durchschaut werden könnte und die Menschen somit der „westlichen Propaganda“ verfallen würden. Sie hatten auch Angst, dass eine Kultur einziehen könnte, die mit den Idealen des Kommunismus nicht vereinbar gewesen wäre. Als kreuzgefährlich sahen die Funktionäre auch die abendlichen Werbesendungen an, erfuhr doch der von Produktvielfalt nicht gerade verwöhnte DDR-Bürger, wie gut es den Menschen im Westen gehen müsste, wenn sie sich diese Sachen alle kaufen konnten.

Die einen schalteten die Westsender an, weil sie sich dadurch umfangreicher, gründlicher und ehrlicher informiert fühlten, andere taten es wegen der Filme und wieder andere wegen der Musiksendungen.

Die Westsender waren häufig neben den oben genannten Gründen auch aus dem ganz profanen Grund heraus willkommen, dass mit den beiden Ostsendern zusammen die Chancen stiegen, sich einen schönen Fernsehabend nach eigenem Geschmack gestalten zu können.

Als das ZDF den Sendebetrieb aufnahm, konnte es in der DDR nicht ohne Weiteres empfangen werden. Man brauchte dazu eine zusätzliche Antenne und einen Konverter. Dieses Problem zu lösen, war bis zu der Zeit, als auch das Fernsehen der DDR seinen zweiten Sender, das DFF 2, in Betrieb nahm, eine heikle und schwierige Angelegenheit, bekundete man doch mit der zusätzlichen, für jedermann sichtbaren Antenne, dass hier Westfernsehen geschaut wurde. Wozu hätte man denn sonst die Antenne gebraucht? Nicht so mutige Bürger brachten die Antenne versteckt im Wohnzimmer, unter dem Dach oder auf dem Balkon an.

Konverter gab es in dieser Zeit natürlich auch nicht im Osten zu kaufen, man brauchte wieder die Westverwandschaft dazu.

Es gab aber auch geschickte Bastler, die sich die Bauanleitung aus dem Westen schicken ließen und diese Konverter für sich sowie Freunde und Verwandte herstellten. Manche Bastler ließen sich nur den Selbstkostenpreis erstatten, andere machten ein ordentliches Geschäft daraus. Das war natürlich alles illegal.

Mit Beginn des Sendebetriebes von DFF 2 hatte sich das Problem von selbst erledigt. Jetzt konnte jeder ganz offiziell seine UHF-Antenne aufs Dach setzen und einen Konverter kaufen.

Nicht überall in der DDR ließen sich die Westsender überhaupt bzw. gut empfangen. Besonders bedauernswert waren die Bürger von Dresden und Umgebung dran, denn bis ins Elbtal verirrte sich keine Welle westlicher Fernsehsender. Die Dresdner mussten sich ausschließlich mit dem DDR-Fernsehen begnügen. Sie blieben vom „schädlichen Einfluss der westlichen Propaganda“ verschont. Spöttisch bezeichneten sie selbst ihr Einzugsgebiet als das „Tal der Ahnungslosen“.

Theoretisch hätten die Dresdener eigentlich ohne die westlichen Beeinflussungen die vorbildlichsten DDR-Staatsbürger sein müssen. Dieser Hoffnung von Partei und Staat erfüllte sich jedoch nicht. Viele Dresdener zeigten sich besonders kritisch, machten den Mund auf und wurden aktiv. Das zeigte sich zum ersten Mal richtig deutlich bei einem privaten Besuch von Franz Joseph Strauß in der Elbestadt. Mutige Dresdener drängten sich zu ihm, um ihren Unmut zu äußern, gaben ihm Bittzettel mit und baten ihn, sich für die Ostdeutschen einzusetzen. Auch in den letzten Tagen der DDR waren die Dresdener besonders aktiv bei den Montagsdemonstrationen.

Wie wichtig den DDR-Bürgern das Westfernsehen war, zeigte sich auch in einer humorvollen Floskel. Wollte man jemanden beglück- wünschen, so ließ man den üblichen Wünschen zu Gesundheit etc. die Formulierung: „... und einen störungsfreien Westempfang“ folgen.

Noch ein Erlebnis:

Einem findiger Elektromonteur in einem RAW im Bezirk Schwerin kamen seine Kenntnisse als Funkamateur in der Praxis sehr zugute: Er baute emsig Konverter und verkaufte diese. Das soll er wohl auch in der Arbeitszeit und mit Materialien des Betriebes gemacht haben. Er wurde erwischt. Strafverschärfend kam noch hinzu, dass er Mitglied der SED war. Obwohl er anschließend nie auf diesbezügliche Fragen seiner Kollegen antwortete, hielt sich ganz hartnäckig das Gerücht, ein Teil der Parteistrafe hätte darin bestanden, dass er vor den Augen seiner Genossen den gesamten Vorrat an Konvertern mit dem Hammer auf dem Amboss zertrümmern musste.