SCHUTZWALL, antifaschistischer
 
 

Antifaschistischer Schutzwall war in der DDR die offizielle Bezeichnung für die Mauer in Berlin sowie die Grenz- sicherungsanlagen zum westlichen Deutschland. Die Verwendung dieser Formulierung war ein Musterbeispiel für Demagogie, weil sie die Wirklichkeit bewusst auf den Kopf stellte. Die Mauer war am 13. August 1961 errichtet worden, um die Massenflucht der unzufriedenen DDR-Bürger in den Westen zu unterbinden. Ein Staat ohne Volk, das geht ja schließlich nicht. Die offizielle Bezeichnung wies jedoch auf einen äußeren Feind hin, der nicht hinein durfte, vor dem der Staat das Volk mit einem Schutzwall abschirmen musste. Das war, der aufmerksame Leser ahnt es sicher schon, natürlich kein anderer als der allbekannte „Klassenfeind“, der nur darauf lauerte, den Aufbau des Sozialismus zu stören oder sogar „das Rad der Geschichte zurück zu drehen“. Und wo lauerten „die Drahtzieher“ der klassenfeindlichen Störaktionen wohl? Na? Richtig, in Bonn! Wo denn sonst. Weil sie sich nach der Meinung der SED nicht mit der geografischen und politischen Neugliederung nach dem zweiten Weltkrieg abfinden konnten, waren die Störenfriede „die ewig Gestrigen“ und die „Revanchisten“. Wer im Geiste des Gestrigen dachte und handelte, der dachte und handelte nach SED-Logik natürlich im Sinne des besiegten Faschismus, folglich mussten es dann auch Faschisten sein, wenigstens verkappte. Wenn man sich vor ihnen schützen wollte, dann war das eine „antifaschistische“ Tat. „Antifaschistischer Schutzwall“ war also logische Folge und ein idealer Begriff, der gleichzeitig abschrecken, erziehen und die offizielle Denkart eindringlich demonstrieren sollte.

Weiterhin wurde auch damit argumentiert, dass es ja schließlich nicht allein um eine innerdeutsche Angelegenheit ginge, sondern das Schicksal des gesamten sozialistischen Lagers auf dem Spiel stünde, war doch die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten auch gleichzeitig die Trennlinie zwischen dem kapita- listischen und dem sozialistischen Lager.

Beim Volk hieß das ungeliebte Ding in Berlin jedoch nur Mauer. Bestenfalls ließ man sich noch dazu herab, Grenze, Westgrenze oder sogar Staatsgrenze zu sagen. Die Formulierung „Antifaschistischer Schutzwall“ hingegen kam niemandem im Volk freiwillig über die Lippen.

In den westlichen Medien wurden neben dem Wort Mauer die Begriffe Demarkationslinie, Stacheldraht und Todesstreifen verwendet.

Nur ein einziges Mal, nämlich am 19. Januar 1989 ließ sich Erich Honecker dazu verleiten, nicht den offiziellen Begriff zu verwenden. Auf die Frage eines westlichen Journalisten, wie lange der Herr Staatsratsvorsitzende denn die Grenzen geschlossen halten wolle, antwortete dieser: „Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind.“ Zehn Monate später schreckte die Mauer niemanden mehr ab. Im Gegenteil, sie zog die Leute aus aller Welt an. Viele fanden die Mauer plötzlich so attraktiv, dass sie sich mit Hammer und Meißel Erinnerungsstücke für zu Hause aus dem Beton schlugen.